Seite wählen
Emotionale Verarbeitung im Schlaf

Emotionale Verarbeitung im Schlaf

Im Artikel Haben Träume einen Zweck? wurde die Frage diskutiert, wieso wir träumen.  Aber wie sieht es mit dem Schlaf selber aus? Immerhin sind Schlaf und Traum untrennbar.

Es wird angenommen, dass der menschliche Schlaf evolutive Funktion hat. Zum einen eine metabolische und zellulare Klärung, zum anderen eine Verbesserung der Leistung und des Lernens bei Aufgaben. Bislang lag der Fokus der Forschung auf den körperlichen Auswirkungen. Das ändert sich mit einer  neuen Studie aus der Schweiz.

Schlaf hilft dem Gehirn bei der Verarbeitung von Emotionen

Diese hat gezeigt, dass Schlaf dem Gehirn hilft, Emotionen für den nächsten Tag zu verarbeiten. Die Ergebnisse wurden zwar an Mäusen entdeckt, könnten aber auch uns helfen, einige der Rätsel des menschlichen Schlafs zu lösen. Dabei spielt die sogenannte REM-Schlafphase eine entscheidende Rolle.

Ohne ausreichenden REM-Schlaf können die Netzwerke im Gehirn mit emotionalen Erinnerungen wie Angst „übersättigt“ werden, so dass es schwieriger wird, wichtige Signale von Hintergrundgeräuschen zu unterscheiden. Im Wachzustand kann dies dazu führen, dass sich eine Maus übermäßig ängstlich oder nicht ängstlich genug verhält.

Die Ergebnisse stehen im Einklang mit anderen Studien, die darauf hindeuten, dass Schlaf die neuronale Aktivität unter Kontrolle hält.

Sie könnten zukünftig helfen, besser zu verstehen, warum Zustände wie posttraumatische Belastungsstörungen und Schlafstörungen so eng miteinander verbunden sind.

Forschungsquelle

Paradoxical somatodendritic decoupling supports cortical plasticity during REM sleep Science 2022, Vol. 376, No. 6594, 724–730

Haben Träume einen Zweck?

Haben Träume einen Zweck?

Ich habe in einigen Artikeln darüber gesprochen, was geträumt wird (vgl. Häufigste Traummotive oder Projekt „Pandemie-Träume-Archiv“). Auch, dass Einflussfaktoren der Umwelt unser Schlaf- und Traumverhalten verändern, gilt als erwiesen (vgl. Projekt „Wächter des Schlafes“ zu Träumen während des Coronavirus).

Aber die große Frage der Neurowissenschaften bleibt, nämlich warum wir eigentlich träumen. Ein US-amerikanischer Bewusstseins- und Traumforscher hat jüngst die sogenannte Overfitted Brain Hypothese, kurz OBH, entwickelt. Sie besagt: Ja, Träume dienen einem Zweck!

Wieso wir schlafen

Schlaf und Traum sind untrennbar, darum ist es wichtig zu verstehen, welche evolutive Funktion der Schlaf hat, um zu verstehen was Träume damit zu tun haben.

Derzeit gibt es verschiedene Hypothesen weshalb wir schlafen:

  1. Metabolische und zellulare Klärung,
  2. Verbesserung der Leistung und des Lernens bei Aufgaben.

Das Gehirn als KI

Hier setzt die OBH an. Dabei wird unser Gehirn mit einer Computermodellierung verglichen.

Gehirne von Tieren [stehen] ständig in der Gefahr der Überanpassung, d.h. der mangelnden Verallgemeinerung, die in einem tiefen neuronalen Netz auftritt, wenn sein Lernen zu sehr auf einem bestimmten Datensatz basiert … Träume [tragen] dazu [bei], dieses allgegenwärtige Problem zu mildern.

Träume generieren quasi Daten für unsere KI / das Gehirn, die weit über das tägliche „Trainingsset“ hinausgehen.

Die Hypothese wird durch die Idee unterstützt, dass Stochastik (wie beschädigte oder spärliche Eingaben) beim maschinellen Lernen von entscheidender Bedeutung ist.

Kognitive Flexibilität

Das heißt, es ist gerade die Fremdartigkeit von Träumen in ihrer Abweichung von der Wacherfahrung, die ihnen ihre biologische Funktion verleiht.

Der Zweck des Träumens wäre somit eine Art Fiktion („Rauschinjektion“) für unsere KI / das Gehirn, um „fit“ zu bleiben. Als Beispiel wird ein Traum vom Fliegen genannt, der dir helfen kann dein Gleichgewicht auf dem Boden zu halten.

Mir persönlich gefällt die Konnotation von Ganzheitlichkeit, die bei der OBH mitschwingt: Dass wir nächtliche Belletristik kreieren, um ein Gegengewicht zu den Reportagen unseres Alltagslebens darzustellen. Dass wir mehr als „Maschinen“ sind, sondern eine Prise Chaos brauchen um zu wachsen.

Forschungsquelle

The overfitted brain: Dreams evolved to assist generalization
Patterns 2021, Vol. 2, [No. 5], 1–15

Häufigste Traummotive

Häufigste Traummotive

Wovon träumt die Welt? Ein spannendes Thema, das ich bereits im Artikel Projekt „Pandemie-Träume-Archiv“ gestreift habe. Was träumen die Menschen in Asien, Afrika, Nord- und Südamerika, Europa sowie Australien? Haben lokale Faktoren wie Natur, Kultur, Kunst, Medien, Veranstaltungen und Essen vielleicht Einfluss auf jene Motive, die geträumt werden? Gibt es kulturelle Gemeinsamkeiten oder Unterschiede? Eine populärwissenschaftliche Recherche der britischen Plattform Mornings.co zeigt auf, welche Träume in den verschiedenen Ländern am häufigsten vorkommen.

Träume über Grenzen hinweg

Dazu hat das Team Google-Suchdaten nach „Traum“ in der jeweiligen Landessprache analysiert, soweit Daten verfügbar waren.

Das Ergebnis: Die Welt träumt von Schlangen! In mehr als einem Drittel der untersuchten Länder (52 von 147) ist es das häufigste Motiv. Dabei sind Schlangenträume in Osteuropa und Teilen Asiens und Afrikas besonders beliebt.

Top 2 ist der Traum, dass einem Zähne ausfallen. Ein Motiv, das mir im Zuge der Dream Teacher Ausbildung bei Robert Moss oft begegnet ist. Es steht in 17 Ländern -vor allem im Norden- an erster Stelle.

Internationale Überschneidungen gibt es auch in den Bereichen Ehe, Schwangerschaft / Baby und Ex-Beziehung.

Länderspezifische Träume

Weitere Traummotive unterscheiden sich, je nachdem wo die Träumer herkommen.

Südamerika träumt vor allem tierisch: Läuse, Ratten und Spinnen. Afrikas Träumer sehen dagegen Blut, Haarschneiden und Tod. Während wir in Europa von Weintrauben, Meer und Hüten träumen. Hast du ein solches Ergebnis erwartet? Also ich nicht.

Ein Wort der Warnung

Da wir von Erwartungen sprechen… Vielleicht ertappst du dich jetzt dabei, wie du bestimmte Traummotive aus dem Beitrag für dich interpretierst. „Oh, so viel Blut und Tod in Afrika. Ganz schön düster.“ Richtig? Falsch!

Einmal davon abgesehen, dass andere Länder andere Sitten pflegen, werden auch Objekte kulturell unterschiedlich bewertet. Traumdeutung ist niemals universell. Denn deine Träume sind so einzigartig wie du. Kein anderer Mensch hat DEINE Geschichte oder Erfahrungen. Ich gebe dir ein Beispiel: Wenn ich einen Hof mit mehreren Pferden besitze und mir Reiten Spaß macht, werde ich, wenn ich von einem Pferd träume, dieses vermutlich positiv besetzen. Hatte ich dagegen einen Reitunfall als ich klein war und seitdem ein Trauma, wenn ich nur Pferde sehe, würde der gleiche Traum eines Pferdes bei mir vermutlich unangenehme Gefühle oder gar Panik auslösen. Es kommt also auf meine persönliche Linse an. Nimm die Ergebnisse aus diesem Beitrag daher mit einer Portion Skepsis und beziehe bei Traumanalysen dein eigenes Leben in das Bild mit ein. Ich zeige dir gern, wie es geht.

Informationsquelle

The Most Common Dream in Every Country
Mornings.co.uk, 28.02.2022

Hypnopompe Kreativität

Hypnopompe Kreativität

Maler Salvador Dalí hat es getan. Erfinder Thomas Alva Edison hat es getan. Die Rede ist von: Kreativschlaf.

Beide beschreiben eine Schlaftechnik, um Kreativität zu inspirieren. Dafür benötigt man nichts weiter als einen Gegenstand wie einen Löffel oder einen Ball, während man sich zum Schlafen hinlegt. Sobald man abdriftet, erschlafft die Hand, das Objekt fällt hinunter, macht ein Geräusch und weckt den ‚Halter‘ so auf. Der Schlüssel zum kreativen Denken lag für Dalí und Edison im richtigen Timing, wenn eine bestimmte Schlafphase einsetzt, in der sich die Realität mit der Fantasie zu vermischen scheint. Diese Grauzone wird Hypnagogie genannt.

Hypnagogie

Laut Wikipedia bezeichnet Hypnagogie „einen Bewusstseinszustand, der beim Einschlafen oder Tagschlafen auftreten kann. Eine Person im hypnagogen Zustand kann visuelle, auditive und taktile Halluzinationen erleben.“ Das kennst du vielleicht, wenn du beim Einschlafen das Gefühl hast zu stolpern oder zu fallen und dein Bein automatisch anfängt zu zucken. Einige wachen durch diesen Bewegungsreiz wieder auf.

Der Übergang vom Wachsein zum hypnagogen Zustand vollzieht sich fließend. Auch wenn das Wachdenken vorwiegend abstrakt ist, wird es im Hintergrund vom ‚anschaulichen‘ Denken begleitet. Die nach außen gerichtete Aufmerksamkeit ist herabgesetzt, das abstrakte Denken aber nicht völlig abgeschaltet. Die Gedanken reihen sich lockerer und ungezielter aneinander, mehr analog als logisch verknüpft.“

Es erscheint schlüssig, dass Menschen während dieser Phase zu kreativen Lösungen kommen, die im Wachzustand nicht zugänglich schienen. Aber ist an der Überlieferung von Dalí und Edison tatsächlich etwas dran? Ja!

Der "ideale Cocktail für Kreativität"

Forscher haben sich in einer aktuellen Studie intensiv mit der kognitiven Rolle des hypnagogen Zustands auseinander gesetzt und herausgefunden, dass er den „ideale[n] Cocktail für Kreativität“ darstellt, wobei Kreativität hier weiter gefasst wurde als „Originalität und Nützlichkeit für den Kontext“.

Während eines Experiments sollten Teilnehmer mathematische Probleme lösen, jeweils vor und nach einer 20-minütigen (hypnagogen) Schlafpause. Der Clou: Es gab eine versteckte Regel, die Operationen abkürzte, sodass man schneller zur Lösung gelangen konnte. Gemessen wurde die „kreative Einsicht“ der Teilnehmer. Der Plan ging auf: Die Forscher fanden heraus, dass Teilnehmer, die mindestens 15 Sekunden in der hypnagogen Phase verbrachten, eine 83-prozentige Chance hatten, die verborgene Regel zu entdecken, verglichen mit einer 30-prozentigen Chance für diejenigen, die wach blieben. Sie haben das Problem ‚kreativ‘ gelöst.

Wichtig sei allerdings das Gleichgewicht zwischen leichtem Einschlafen und zu tiefem Einschlafen, schlossen die Forscher. Denn sobald die Teilnehmer in den sogenannten Non-REM-Schlaf [= stabiler Schlaf vor Beginn des Tiefschlafs] fielen, verschwand der kreative Effekt.

Wenn du jetzt neugierig geworden bist, probiere es selbst aus! Alles, was du brauchst, ist ein ruhiges Plätzchen und ein Gegenstand, den du in der Hand halten kannst. (Eine Freundin von mir hat dafür ihren Schlüsselbund genutzt.) Get creative.

Forschungsquelle

Sleep onset is a creative sweet spot
Science Advances 2021, Vol. 7, No. 50, eabj5866

Projekt „Pandemie-Träume-Archiv“

Projekt „Pandemie-Träume-Archiv“

Dass COVID-19 Einfluss auf unser Schlaf- und Traumverhalten hat, hast du bereits im Artikel zum Projekt „Wächter des Schlafes“ zu Träumen während des Coronavirus gelesen. Aber wovon träumen wir während der Pandemie? Und gibt es vielleicht semantische Vernetzungen?

Pandemie-Träume-Archiv

Ein Team aus Forschern und bildenden Künstlern hat es sich selbst zur Aufgabe gesetzt „durch einen Prozess der semiotischen Analyse unter Verwendung verschiedener Sprachverarbeitungssoftware und spezifischer Systeme der Traumpsychologie … eine onirische [= dem Traum zugehörige] Kartographie der Pandemie zu erstellen„. Das Ergebnis ist eine Datenbank namens Pandemie-Träume-Archiv (engl. Pandemic Dreams Archive).

Sie ist Bestandteil des Projektes „Hijacked Futures X the Anti-Hijacking of Dreams„, welches seit 2015 in verschiedenen Ländern angewendet wird.

Im Augenblick sind 516 Träume vorhanden. Mich erinnert das Projekt an die Fernsehserie „FlashForward“, wo Menschen auch ihre Visionen/Träume während eines weltweiten Phänomens in einer riesigen Datenbank, der so genannten Mosaik-Sammlung, bündeln. So wird Science-Fiction zu Science Fakten.

Willst du durch Pandemie-Träume navigieren und erkunden, wie diese semantisch zusammenhängen? Dann klicke dich rein. Oder noch besser: Mach selbst mit. Jeder ist aufgerufen seine Pandemie-Träume hier einreichen.

Schneeglöckchen-Extrakt & Träume

Schneeglöckchen-Extrakt & Träume

Wie in den Artikeln Proof of Concept zu „Interaktivem Träumen“ und Projekt „Wächter des Schlafes“ zu Träumen während des Coronavirus gezeigt wurde, erfreut sich die empirische Traumforschung zunehmender Beliebtheit.

Passend zum ersten Schnee haben Wissenschaftler nun herausgefunden, dass es eine zuverlässige Methode gibt, um luzide Träume auszulösen. Und der Schlüssel sind: Schneeglöckchen!

Schneeglöckchen-Extrakt & Träume

Forscher der University of Wisconsin-Madison und des Lucidity Institute in Hawaii untersuchten, wie Chemikalien, die als Acetylcholinesterase-Blocker bezeichnet werden, luzides Träumen induzieren können. Diese werden therapeutisch bei der Alzheimer-Krankheit eingesetzt. Ein gängiges Arzneimittel zur Behandlung von Gedächtnisstörungen ist beispielsweise Galantamin-ratiopharm®. Es enthält den gleichnamigen Wirkstoff Galantamin, welcher aus Schneeglöckchen gewonnen werden kann. Galantamin hilft den sogenannten REM-Schlaf zu modulieren.

Bei der Studie wurden Teilnehmer ausgewählt, die bereits Erfahrung mit  Klarträumen hatten und im Umgang mit der sogenannten MILD-Technik (= Mnemonic Induced Lucid Dream; von Stephen LaBerge entwickelt; Autosuggestion um einen Klartraum hervorzurufen) geübt waren. Durch eine Kombination der Induktionstechnik gepaart mit der Alzheimer-Medikation wurden Klarträume ausgelöst – wobei eine höhere Dosis des Medikaments zu stärkeren Ergebnissen führte.

Laut Protokoll hatten so insgesamt 69 von 121 Teilnehmern (57 %) in mindestens einer von zwei Nächten erfolgreich einen Klartraum. Es handelt sich um die bis dato erfolgreichste Methode für luzides Träumen.

Allerdings warnten die Forscher davor, selbst mit Galantamin zu experimentieren, solange nicht mehr über die Sicherheit dieser Technik bekannt ist.

Forschungsquelle

Pre-sleep treatment with galantamine stimulates lucid dreaming: A double-blind, placebo-controlled, crossover study
PLOS ONE 2018, 13(8), e0201246