
Haben Träume einen Zweck?
Ich habe in einigen Artikeln darüber gesprochen, was geträumt wird (vgl. Häufigste Traummotive oder Projekt „Pandemie-Träume-Archiv“). Auch, dass Einflussfaktoren der Umwelt unser Schlaf- und Traumverhalten verändern, gilt als erwiesen (vgl. Projekt „Wächter des Schlafes“ zu Träumen während des Coronavirus).
Aber die große Frage der Neurowissenschaften bleibt, nämlich warum wir eigentlich träumen. Ein US-amerikanischer Bewusstseins- und Traumforscher hat jüngst die sogenannte Overfitted Brain Hypothese, kurz OBH, entwickelt. Sie besagt: Ja, Träume dienen einem Zweck!
Wieso wir schlafen
Schlaf und Traum sind untrennbar, darum ist es wichtig zu verstehen, welche evolutive Funktion der Schlaf hat, um zu verstehen was Träume damit zu tun haben.
Derzeit gibt es verschiedene Hypothesen weshalb wir schlafen:
- Metabolische und zellulare Klärung,
- Verbesserung der Leistung und des Lernens bei Aufgaben.
Das Gehirn als KI
Hier setzt die OBH an. Dabei wird unser Gehirn mit einer Computermodellierung verglichen.
Gehirne von Tieren [stehen] ständig in der Gefahr der Überanpassung, d.h. der mangelnden Verallgemeinerung, die in einem tiefen neuronalen Netz auftritt, wenn sein Lernen zu sehr auf einem bestimmten Datensatz basiert … Träume [tragen] dazu [bei], dieses allgegenwärtige Problem zu mildern.
Träume generieren quasi Daten für unsere KI / das Gehirn, die weit über das tägliche „Trainingsset“ hinausgehen.
Die Hypothese wird durch die Idee unterstützt, dass Stochastik (wie beschädigte oder spärliche Eingaben) beim maschinellen Lernen von entscheidender Bedeutung ist.
Kognitive Flexibilität
Das heißt, es ist gerade die Fremdartigkeit von Träumen in ihrer Abweichung von der Wacherfahrung, die ihnen ihre biologische Funktion verleiht.
Der Zweck des Träumens wäre somit eine Art Fiktion („Rauschinjektion“) für unsere KI / das Gehirn, um „fit“ zu bleiben. Als Beispiel wird ein Traum vom Fliegen genannt, der dir helfen kann dein Gleichgewicht auf dem Boden zu halten.
Mir persönlich gefällt die Konnotation von Ganzheitlichkeit, die bei der OBH mitschwingt: Dass wir nächtliche Belletristik kreieren, um ein Gegengewicht zu den Reportagen unseres Alltagslebens darzustellen. Dass wir mehr als „Maschinen“ sind, sondern eine Prise Chaos brauchen um zu wachsen.
Forschungsquelle
The overfitted brain: Dreams evolved to assist generalization
Patterns 2021, Vol. 2, [No. 5], 1–15