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Traumhauch-Hütte

Traumhauch-Hütte

Dieser Artikel ist Teil einer Reihe, die sich mit (antiken) Praktiken zum Thema Schlaf, Träume und Inkubation befasst. Sie beginnt mit Gilgamesch.

Das Gilgamesch-Epos ist das bekannteste Werk der akkadischen und sumerischen Literatur und gilt als eine der ältesten, schriftlich fixierten Dichtungen der Welt. Die besterhaltene Version ist auf elf Tontafeln aus der Bibliothek des assyrischen Königs Aššurbanipal. Eine zwölfte Tafel mit einem Auszug aus dem eigenständigen Gedicht Gilgamesch, Enkidu und die Unterwelt wurde dem Epos angehängt.

Das Epos schildert die Geschichte Gilgameschs, eines Königs von Uruk, seine Heldentaten und Abenteuer, seine Freundschaft zu Enkidu, dessen Tod und Gilgameschs Suche nach Unsterblichkeit. Es beinhaltet interessante Parallelen zur späteren biblischen Überlieferung (Figur Noah ⟷ Held Uta-napišti).

An dieser Stelle soll es vor allem um die Tafel 4, Verse 10 bis 14 des Gilgamesch-Epos‘ gehen: Die sogenannte „Traumhauch-Hütte“.

Traumhauch-Hütte

Traumhauch-Hütte (babylonisch Ezaqiqu; Haus des Traumhauchs) ist die Bezeichnung einer mesopotamischen Hütte, die als Traumfänger-Ort von Traumdeutern erbaut wurde, um mittels Träumen in die Zukunft schauen zu können. Die Traumhauch-Hütte diente als Ersatzbau in freier Natur, falls die Traumdeutung nicht in einem naheliegenden Tempel vollzogen werden konnte.

Im Gilgamesch-Epos tritt unter anderem Enkidu als Traumdeuter Gilgameschs auf, der zuvor einen Berg erklommen hatte, damit der Sonnengott Šamaš ihm einen Traum zusenden möge. Gilgamesch legte sich danach in die von Enkidu errichtete Hütte, die so den mit dem Sturmwind auf den Weg gebrachten Traum empfangen konnte. Um den Einfluss von bösartigen Dämonen fernzuhalten, erhielt die Traumhauch-Hütte einen äußeren weißen Mehlkreis. In babylonischen Ritualtexten ist der Bannkreis aus Mehl mehrfach belegt. Die Dämonen konnten so nicht zum Träumenden vordringen.

Enkidu fungiert im Gilgamesch-Epos als zur Traumhauch-Hütte zugehörige Person und damit ebenfalls als Traumfänger. Die verwendete Formulierung Wie ein Fangnetz zu Boden geworfen bezieht sich auf Enkidu, der sich ähnlich einem Fangnetz auf den Boden unmittelbar vor die Traumhauch-Hütte legt, um im schlafenden Zustand den Traum anzuziehen, einzufangen und an Gilgamesch weiterzuleiten.

Da baute Enkidu ihm [Gilgamesch] eine Traumhauch-Hütte. Er befestigte eine Tür für den Sturmwind in ihrem Eingang. Er ließ ihn betten in einem Kreise, aus Mehl war die Linie. Er selbst aber, wie ein Fangnetz zu Boden geworfen, legte sich nieder in ihrem Eingang.

Menschliche „Träumfänger“, die helfen Träume weiterzuleiten … ein faszinierender Gedanke.

Traumdeutung bei Gilgamesch

Insgesamt spielen Träume im Gilgamesch-Epos eine tragende Rolle. Schon die erste Tafel des Epos‘ beinhaltet zwei Träume, in denen Gilgamesch Kenntnis von Enkidu erhält. Gilgameschs eigene Mutter Ninsun, gilt als Wissende der Zukunft und hilft ihm, diese Träume zu deuten.

Auf der vierten Tafel kommt dann oben genannte Traumhauch-Hütte zum Einsatz, als Gilgamesch jede Nacht um Träume bittet, die Enkidu für ihn deutet.

Auf der sechsten und siebten Tafel träumt Gilgamesch vom Tod Enkidus. Er reist im Traum in die Unterwelt, um Enkidu zu retten, scheitert jedoch.

Auf der zwölften Tafel (einer Art Geschichte in der Geschichte) erzählt ein Vorfahr Gilgameschs von einem Traum den der Gott Enki aussandte, um vor einer Flutkatastrophe zu warnen. Außerdem erhält Gilgamesch die Aufgabe den Schlaf, „als kleinen Bruder des Todes“, sechs Tage und sieben Nächte zu bezwingen, was ihm misslingt.

Ich finde erstaunlich, welche Bedeutung Traumreisen und deren Deutung für Gilgameschs Heldenreise einnehmen. Es deckt sich mit Anekdoten aus meinen Artikeln Erfolgsgeschichten von Träumern (I) sowie Erfolgsgeschichten von Träumern (II), wo Träume die Welt verändert haben. Ob der König der Babylonier eine historische Person gewesen ist, kann nicht zweifelsfrei belegt werden. Trotzdem hat Gilgameschs Legende die Weltliteratur beeinflusst.

Original

Gilgamesch-Epos
lyrik online, 2002