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„Paprika“ von Satoshi Kon

„Paprika“ von Satoshi Kon

Es gibt eine Reihe von Filmen, die das Traumgeschehen zum Inhalt haben. Heute rezensiere ich einen preisgekrönten Anime namens Paprika, der mir von einer Freundin empfohlen wurde. Er trat als einziger Animationsfilm bei den 63. Internationalen Filmfestspielen von Venedig an und gilt als Vorlage für Christopher Nolans Film „Inception“.

Satoshi Kon

Satoshi Kon (* 12. Oktober 1963; † 24. August 2010) war ein japanischer Drehbuchautor und Filmregisseur.

Er zählte zu den wichtigsten Animationsfilmkünstlern Japans. Sein bekanntestes Werk ist „Perfect Blue“, ein Anime der viele Parallelen zu Darren Aronofskys Film „Black Swan“ hat.

Paprika

Paprika basiert auf dem gleichnamigen Roman des Autors Yasutaka Tsutsui und erschien 2006. Das Charakterdesign stammt von Masashi Ando (bekannt für „Prinzessin Mononoke“, „Spirited Away“ oder „Your Name“).

Die Reaktionen der Kritiker waren positiv. Das Time Magazine nahm Paprika in seine Top 25 der Animationsfilme aller Zeiten auf, während Rotten Tomatoes den Film in seine Liste der fünfzig besten Animationsfilme aller Zeiten aufnahm. Metacritic listet den Film unter den 25 am besten bewerteten Science-Fiction-Filmen aller Zeiten und unter den 30 am besten bewerteten Animationsfilmen aller Zeiten auf. 

Besprechung

Formalia

Ich habe Paprika auf Blu-ray Disc mit deutscher Synchronisation gesehen.

Bei Paprika verwendete Satoshi Kon erstmals auch 3D-Animationen neben seinen handgezeichneten Zeichentrickanimationen.

Zusammenfassung

Paprika handelt von einer Psychotherapeutin, die an der Entwicklung eines neuartigen Gerätes beteiligt ist, das die genaue Untersuchung von Träumen ermöglicht. Das Gerät wird gestohlen und missbraucht, wodurch sich Realität und Traum vermischen.

Fazit

Dieser Abschnitt enthält Spoiler. Die Kenntnis der folgenden Informationen könnte den Genuss am besprochenen Film schmälern. Sei gewarnt. Und nun an’s Eingemachte …

Ob man den Animestil mag oder nicht, ist Geschmackssache. Ich beschränke mich auf inhaltliche Anmerkungen.

Der Titel ist verwirrend: Bis zum Ende wird nicht geklärt, weshalb sich die gleichnamige Protagonistin so nennt. Wegen der Haarfarbe? (Vielleicht wird die Frage in der Buchvorlage beantwortet.)

Die Liebesbeziehung zu Dr. Kosaku Tokita empfinde ich als deplatziert, da sie keinen Mehrwert zur Geschichte bietet. 

Lobenswert finde ich die Darstellung der Traumthematik, welche Sigmund Freuds Ansatz eines „Unbewussten im Seelenleben“ aufgreift. Paprika sagt an einer Stelle des Films:

Glauben Sie nicht, dass Träume und das Internet ähnlich sind? Beides sind Bereiche, in denen sich der unterdrückte bewusste Verstand Luft macht.

Träume, und die Freiheit die wir in ihnen genießen, wird als etwas Kostbares dargestellt. So geht es im Film vor allem um die moralische Frage wem unsere Träume gehören und ob diese durch Technik „eingesperrt“ werden sollten.

Paprika vs. Active Dreaming

Stellt man Paprika das Active Dreaming gegenüber, welches ich praktiziere, ergeben sich erstaunliche Gemeinsamkeiten. Angefangen bei der Vorstellung, dass es möglich ist, das eigene Traumerleben (durch Anleitung eines Experten) zu verändern. 

Träume haben laut Kon verschiedene Ebenen die man ‚bereisen‘ kann als würde man mit einem Fahrstuhl fahren. Heilung in der mentalen Welt kann zu Heilung in der körperlichen Welt führen – und umgekehrt.

Es greift die Idee auf, dass wir im Traum unzähligen parallelen Ichs begegnen, die mit uns zusammenfließen oder auseinandergehen (siehe auch Multiversum-Theorie). So ist Paprika das Alter Ego von Psychotherapeutin Atsuko Chiba, existiert dennoch von ihr losgelöst.

Außerdem wird der schmale Grat zwischen Traumwelt und Totenwelt inszeniert. In unseren Träumen werden wir von den Gesetzen der physischen Realität befreit und reisen in andere Dimensionen, auch in Umgebungen, in denen die Verstorbenen leben mögen. So ergeht es beispielsweise Detektiv Toshimi Konakawa mit seinem Jugendfreund.

Das letzte Wort

Paprika ist kein leichter Film, weder energetisch noch intellektuell. Teilweise ist er sogar gruselig. (Besonders für Leute, die unter Pediophobie leiden.)

ABER er hinterfragt spielerisch die Trennung zwischen Realität, Identität und Traum. Dass er beim Schauen mehr Fragezeichen schafft als beantwortet finde ich gut. Erstens lässt sich ein komplexes Thema wie dieses nur schwer ’systematisch‘ erzählen und zweitens schätze ich Geschichten, die Raum für Interpretation lassen.

Ich würde Kons Film unbedingt weiterempfehlen.

Bibliografische Angaben

Paprika / Satoshi Kon. – Japan : Madhouse, Sony Pictures Entertainment, 2006. – 87 Min.

Der Hatsuyume-Brauch

Der Hatsuyume-Brauch

Im Artikel Feiertage, die mit Träumen zu tun haben habe ich bereits ein paar kuriose Traumfeiertage vorgestellt. Ich möchte heute einen Brauch ergänzen, den ich dieses Jahr kennen lernen durfte und der dich einlädt, zum Jahresanfang zu träumen. Weil wir mehr Tage brauchen, an denen geträumt wird!

hatsu-yume (jpn. „erster Traum“) ist ein japanischer Aberglaube über den ersten Traum im neuen Jahr. Da die Menschen nach dem japanischen Neujahrsfest am ersten Januar erst wieder zum normalen Alltag finden, ist dies gewöhnlich der Traum in der Nacht zum zweiten Januar. 

Der erste Traum eines neuen Jahres

Ein solcher Traum soll vorhersagen, welche Erwartungen der Träumende an das neue Jahr stellen kann.

Seit der Feudalzeit gab es verschiedene Bräuche, welche helfen sollten, dass ein glücklicher Traum geträumt wird. So legten sich die Menschen beispielsweise das Abbild eines Segelschiffs mit dem Wort „Schatz“ auf den Segeln unter ihre Kopfkissen.

Es soll Glück bringen, zuerst vom Berg Fuji, zweitens von einem Falken und drittens von einer Aubergine zu träumen. Die genaue Herkunft dieses Aberglaubens ist nicht geklärt. Eine Theorie lautet, dass es sich dabei um hohe Gegenstände handelt: Der Fuji ist der höchste Berg Japans. Ein Berg in der Nähe und etwa halb so hoch ist der Ashitaka (-taka bedeutet Falke). Auberginen könnten deshalb gewählt worden sein, da sie im alten Japan einen hohen Preis hatten.

Ob nun Berg, Vogel oder Frucht … Das Was ist hier weniger wichtig als das Wie. Hast du Lust etwas Neues auszuprobieren oder bist selbst neugierig, wie sich 2023 für dich entwickelt? Dann probiere den Hatsuyume-Brauch aus. Ob du dabei in der Nacht vom 31. Dezember oder am 01. Januar (nach japanischer Zeitrechnung) träumst, ist deine Entscheidung. Unsere Träume existieren losgelöst von Zeit und Raum. Ich empfehle dir nur, eine Intention vor dem Schlafengehen zu setzen, den ersten Traum im neuen Jahr zu träumen. Und dann sieh‘, was geschieht.

Glückliche Träume!

Weiterführende Informationen

Japanlexikon der Botschaft von Japan in Deutschland
Neues aus Japan 2005, No. 2

Emotionale Verarbeitung im Schlaf

Emotionale Verarbeitung im Schlaf

Im Artikel Haben Träume einen Zweck? wurde die Frage diskutiert, wieso wir träumen.  Aber wie sieht es mit dem Schlaf selber aus? Immerhin sind Schlaf und Traum untrennbar.

Es wird angenommen, dass der menschliche Schlaf evolutive Funktion hat. Zum einen eine metabolische und zellulare Klärung, zum anderen eine Verbesserung der Leistung und des Lernens bei Aufgaben. Bislang lag der Fokus der Forschung auf den körperlichen Auswirkungen. Das ändert sich mit einer  neuen Studie aus der Schweiz.

Schlaf hilft dem Gehirn bei der Verarbeitung von Emotionen

Diese hat gezeigt, dass Schlaf dem Gehirn hilft, Emotionen für den nächsten Tag zu verarbeiten. Die Ergebnisse wurden zwar an Mäusen entdeckt, könnten aber auch uns helfen, einige der Rätsel des menschlichen Schlafs zu lösen. Dabei spielt die sogenannte REM-Schlafphase eine entscheidende Rolle.

Ohne ausreichenden REM-Schlaf können die Netzwerke im Gehirn mit emotionalen Erinnerungen wie Angst „übersättigt“ werden, so dass es schwieriger wird, wichtige Signale von Hintergrundgeräuschen zu unterscheiden. Im Wachzustand kann dies dazu führen, dass sich eine Maus übermäßig ängstlich oder nicht ängstlich genug verhält.

Die Ergebnisse stehen im Einklang mit anderen Studien, die darauf hindeuten, dass Schlaf die neuronale Aktivität unter Kontrolle hält.

Sie könnten zukünftig helfen, besser zu verstehen, warum Zustände wie posttraumatische Belastungsstörungen und Schlafstörungen so eng miteinander verbunden sind.

Forschungsquelle

Paradoxical somatodendritic decoupling supports cortical plasticity during REM sleep Science 2022, Vol. 376, No. 6594, 724–730

Werbekampagne nutzt Trauminkubation

Werbekampagne nutzt Trauminkubation

Dieser Artikel beendet die Reihe zu Schlaf-, Traum- und Inkubationspraktiken, welche in der Antike begannen und sich bis in die Gegenwart fortsetzen. Im letzten Artikel habe ich geschrieben, dass Trauminkubation „[e]ine moderne Form des Tempelschlafs“ darstellt. Genau darum soll es heute gehen. Wie weit kann Trauminkubation gehen? Lässt sie sich vielleicht steuern? Sagen wir, um Bier zu kaufen?

Gezielte Trauminkubation durch Werbung

Die Molson Coors Beverage Company (kurz „Coors„), eine der größten Brauereigruppen der Welt, erregte 2021 Aufsehen, als sie zum Super Bowl versuchte ihre Anzeige direkt in den Träumen einer Studiengruppe zu schalten.

In Kooperation mit Dr. Deirdre Barrett, einer bekannten Traumpsychologin (unter anderem Chefredakteurin der Zeitschrift Dreaming: The Journal of the Association for the Study of Dreams), wurde ein „stimulierendes“ Video mit Musikuntermalung entwickelt. Die Gruppe bestand aus 18 Freiwilligen, die sich vor dem Schlafengehen das Video ansehen und dann die Intention setzen sollten, davon weiter zu träumen. Im Schlaflabor wurden die Teilnehmer während der REM-Schlafphase geweckt und sollten von ihrem Trauminhalt berichten. Nach eigenen Angaben träumten 5 der 18 Teilnehmer von Coors Bier. Das entspricht 28 %.

Auch wenn dies nicht repräsentativ im Sinne einer statistischen Erhebung ist, verdeutlicht es die Wirkung gezielter Trauminkubation. Im Nachhinein wurde viel über die ethischen Fragen einer solchen Werbekampagne diskutiert. 35 Schlaf- und Traumforscher aus aller Welt haben sogar in einem offenen Brief auf die Gefahren des Missbrauchs durch Traumwerbung hingewiesen. Ist es vertretbar, kommerzielle Werbung in die Köpfe von Träumern zu pflanzen, selbst wenn die Träumer hierfür ihr Einverständnis gegeben haben? Oder ist unser Traumraum „heilig“? Eines hat Coors mit seiner Traumstudie erreicht: Es war 2021 in aller Munde.

Informationsquelle

Nightmare scenario: alarm as advertisers seek to plug into our dreams
The Guardian, 05.07.2021

Tempelschlaf

Tempelschlaf

Dieser Artikel ist Teil einer Reihe, die sich mit (antiken) Praktiken zum Thema Schlaf, Träume und Inkubation befasst. Den Auftakt bildete Mythologie. Heute geht es mit Geschichte weiter, die bereits beim Gilgamesch-Epos angedeutet wurde: Der sogenannte Tempelschlaf.

Über das "Ausbrüten" von Träumen

Als Enkoimesis oder Tempelschlaf bezeichnet man eine seit der Antike belegte Praxis, bei der ein Kranker das Heiligtum eines Gottes oder eines Heros aufsuchte und dort (manchmal in Verbindung mit einem entsprechenden Ritual und Vorbereitung wie Bäder, Fasten, Diät, Opfer und Gebete) darauf hoffte, dass er im Traumschlaf einen Hinweis auf eine wirksame Therapie seiner Krankheit erhielte. Im allgemeineren Sinn handelt es sich um eine Bezeichnung für den Schlaf im Tempel, bei dem ein Orakelsuchender Antwort auf seine Frage erhofft. Der Inhalt des Traums war normalerweise nicht unmittelbar verständlich, sondern bedurfte der Deutung durch einen Priester des jeweiligen Heiligtums.

Tempelschlaf wurde bereits im 4. Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung von den Sumerern eingesetzt, erlangte aber durch die Ägypter (vgl. Erfolgsgeschichten von Träumern (II), Abschnitt Das Reich Ptolemaios I.) und Griechen größere Bedeutung.

Im Islam findet sich die Praxis des Tempelschlafs in Gestalt der sogenannten Istichāra. Hierbei spricht ein Muslim bestimmte Bittgebete, bevor er sich im betreffenden Heiligtum schlafen legt.

Eine moderne Form des Tempelschlafs ist die Trauminkubation, welche unter anderem für das Einleiten von Klarträumen genutzt wird (vgl. Active Dreaming ⇄ Klarträumen).

Heiligtümer an denen Tempelschlaf belegt ist

Die Grenzen zwischen Schlafheiligtum und Orakeln sind teilweise fließend, wie das Beispiel des berühmten Delphi zeigt, welches als das wichtigste Orakel im antiken Griechenland gilt.

So vermischen sich auch jene Gottheiten, zu denen beim Tempelschlaf gebetet wurde. Oft waren dies Mutter-, Heilgottheiten oder aufgestiegene Seher. Dazu gehörten:

  • Amphiaraos
  • Amphilochos
  • Apollon
  • Asklepios
  • Athene
  • Brizo
  • Dionysos
  • Faunus
  • Gaia
  • Hemithea
  • Herakles
  • Hermione (Tochter des Königs Menelaos von Sparta und seiner Gemahlin Helena, nicht die beste Freundin von Harry Potter)
  • Isis
  • Kalchas
  • Machaon
  • Mopsos
  • Nyx
  • Odysseus
  • Pan
  • Pasiphae und Ino
  • Pluton und Persephone
  • Podaleirios
  • Polemokrates
  • Protesilaos
  • Serapis
  • Sarpedon
  • Teiresias
  • Trophonios
  • Zalmoxis

Eine figürliche Darstellung des Tempelschlafs ist die „Sleeping Lady„, eine Plastik die im archäologischen Museum von Malta ausgestellt wird.

Bildquelle

Wikimedia Commons CC BY-SA 2.0
(„Sleeping Lady“ Neolithic sculpture from Malta, Rob Koopman)